41 Jahre Engagement fürs DRK - Vize-Chefin Ursula Kissig zieht sich zurück
„MISS DRK“: Ursula Kissig.
Sie mag es nicht, ins Licht gestellt zu werden. „Das ist nicht mein Ding“, sagt Ursula Kissig trocken. Lieber wirkt sie im Hintergrund, macht etwas, organisiert, hilft. Doch einmal muss Wedels „Miss DRK“ die offiziellen Lobpreisungen noch über sich ergehen lassen. Nächsten Montag, 17. Juni, auf der Jahreshauptversammlung des DRK. Denn Kissig hört als Zweite Vorsitzende auf. Nach 41 Jahren. Ihre Gesundheit spielt nicht mehr mit. Auch wenn die Kräfte nachlassen, ihre Schlagfertigkeit hat die Wedelerin nicht verloren. Pointiert und in der ihr eigenen Art, in kompakten Sätzen die Meinung prägnant und verschmitzt auf den Punkt zu bringen, erzählt sie im Gespräch mit unser Zeitung aus ihrer reichen DRK-Vergangenheit. In die Pflicht nahm sie 1976 Bürgermeister Fritz Hörnig. So etwas darf hier nicht einfach so rumlaufen, das ist Verschwendung, habe er damals unmissverständlich klar gemacht. Eigentlich wollte der hartnäckige Bürgermeister sie für die Politik gewinnen. „Aber Politik, das ist nichts für mich“, stellt Kissig klar. Weil Hörnig auch DRK-Vorsitzender war, wurden es das Rote Kreuz.
Gruppen aufbauen und ebenso unbeirrbar wie ausdauernd Zuschüsse von der Stadt einfordern, das wurde Kissigs Welt. Die Montagsseminar-Reihe war eine ihrer ersten Ideen. „Sie ist die Erstgeborene. Natürlich hängt da mein Herz dran“, sagt Kissig und lacht. Die ersten Treffen fanden noch in der Gaststätte Strandbaddamm, auf dem Rasen vorm Schulauer Fährhaus gelegen, statt. 1982 ging’s in die neue Begegnungsstätte. Die Ideen für Themen und Dozenten sammelte Kissig aus der Zeitung. Noch heute ist ihre Schublade voller ausgeschnittener Artikel. Dass sie eine ausgeprägte Überredungskunst besitzt, davon zeugen nicht nur 82 Halbjahresprogramme, die sie mit Referenten besetzen konnte, sondern auch deren Namen. Uwe George, der Bruder von Schauspieler Götz George konnte sie ebenso nach Wedel locken wie Rüdiger Nehberg. Der war sogar zwei Mal da. „Das hat einfach Spaß gemacht“, antwortet Kissig auf die Frage nach ihrer Motivation. „Dann wurde es Pflicht. Aber ist es nicht auch ein Vergnügen, sich in Zeitnot zu setzen, wenn wieder ein Programm ansteht?“, fragt sie lächelnd.
Nachfolger von Hörnig wurde Baumeister Heinz Töpper. „Ich hab mir meine Vorsitzenden immer selbst gesucht“, erläutert Kissig selbstbewusst. Wichtig war ihr, dass die Kandidaten im Rathaus gut vernetzt waren. Den Rest erledigte auch hier ihr rhetorisches Geschick: „Im Überreden war ich ziemlich gut“, sagt sie. Als Kissig Joachim Reinke in den Vorsitz holte, gab’s Gemecker. „Wie kannst du dir bloß so einen stammen SPD-Mann ins Boot holen“, wurde sie angegangen. „Der ist einfach gut“, lautete ihre entwaffnende Antwort. Auch der Christdemokrat Peter Meier brachte als DRK-Chef die Dynamik mit, die Kissig wollte. „Der hatte tausend Ideen im Kopf“. Und wie schon Bürgermeister Hörnig sagte er: „Machen Sie mal. Das kriegen sie schon hin.“ Ihr verstorbener Mann habe sie in ihrem Engagement immer unterstützt, erzählt Kissig. „Der hatte eine Engelsgeduld.“ Kennen gelernt hat sie ihn in Hamburg. Dort wollte die gebürtige Paderbornerin Lehrerin werden. Doch es wurde eine Verwaltungskarriere. Neben dem Studium jobbte Kissig bei der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie machte sich dort so gut, dass die sie unbedingt behalten wollten. Eine Inspektorenlaufbahn folgte. 1970, bereits in Wedel, kam Sohn Michael auf die Welt. Das hinderte Kissig nicht in ihrem ehrenamtlichen Engagement. Er kam einfach überall hin mit: „Ein sehr pflegeleichtes Kind.“
Neben sozialer Teilhabe für Senioren setzte sich Kissig früh auch dafür ein, dass alte Menschen lange selbstständig leben können. Bereits Ende der 1980er initiierte sie den Bau behindertengerechter Wohnungen. „Das hat sich bewährt“, so ihr knapper Kommentar ihrer Weitsichtigkeit. Fürs DRK war Kissig eigentlich rund um die Uhr im Einsatz. Sogar wer nachts etwas auf dem Herzen hatte, konnte sie anrufen. Das waren manches Mal belastende Sachen auch für sie, gibt sie zu. Aber das habe sich gelegt, sagt Kissig.
Für ihren Einsatz für die vietnamesischen Flüchtlinge in den 1970er Jahren bekam die Zweite Vorsitzende das Bundesverdienstkreuz überreicht. „Ich fand es uneinsichtig, dass man nicht mehr tat.“ Von den ersten 30 Boatpeople in Wedel konnte einer halbwegs Deutsch, und der war Nordvietnamese. Der wurde von den Südvietnamesen natürlich gemieden, erzählt sie und lacht. Sie behalf sich mit ihrem Schulfranzösisch, die Integration klappte hervorragend. Aus Dankbarkeit standen Weihnachten oft 120 Schützlinge vor ihrer Tür, die alle Platz in der Wohnung fanden. Bis heute bestehen die Verbindungen. Gerade erst rief ein Junge an, um zu erzählen, dass er sein Abitur bestanden habe, berichtet sie strahlend. Nicht allen gefiel ihre Flüchtlingsunterstützung damals. Kissig wurde angefeindet, bekam Drohanrufe. Später allerdings erhielt sie dann weitere Auszeichnungen: die Wedeler Ehrennadel und die Gerhard-Stoltenberg-Medaille, obwohl sie kein CDU-Mitglied ist. Zusammen liegen die Orden „irgendwo im Regal“.Anstecken mag sie sie sich nicht. Dazu ist sie zu bescheiden. Eine Eigenschaft, die ebenso charakteristisch für Kissig ist wie ihre Überredungskunst, und die sich auch in ihrer Rückschau zeigt: „Ich denke, wir haben einiges bewegt“, sagt sie knapp.
Inge Jacobshagen, Wedel-Schulauer-Tageblatt